Knastkämpfe in Italien der 1970er und Anfang der 1980er Jahre (Teil 3)

Im letzten Teil unserer Reihe haben wir beschrieben, wie sich die Knastkämpfe in Italien immer mehr politisierten, vermassten und radikalisierten, bis hin zur Organisierung eigener politisch- militärischer Kerne wie die „Nuclei Armati Proletari „ (Bewaffnete Proletarische Zellen), Befreiungsaktionen und (versuchten) Massenfluchten. Der Staat versuchte darauf ab 1977 mit einer differenzierten Strategie der Spaltung, Zersetzung und schlussendlichen Zerstörung der Gefangenenbewegung zu reagieren. Es wurden Sondergefängnisse bzw. Trakte eingeführt, um die rebellischen Gefangenen und eingeknasteten Guerilla- KämpferInnen vom Rest zu trennen. Trennscheibe bei jeder Art von Besuchen wurde zum Standard. Dadurch entwickeln sich so zwei parallele Gefängnis- Regimes, das eine mit täglicher (physischer und psychischer)Gewalt und Folter (in Novara intervenierte sogar die Kirche empört) und das anderen mit „großzügigen“ Freiheiten und heimlichen Belohnungen, um die Differenzierung zusätzlich zu erhöhen. Im „normalen“ Vollzug entwickelte sich ein geheimes System aus Vergünstigungen und Freiheiten, wie Freigänger und Bewährung aber immer verbunden mit der Drohung diese Vergünstigungen bei „unangemessenem“ Verhalten ins Gegenteil zu verkehren.

Diese „lockere“ Behandlung, die der Staat an den Tag legte und ein paar tausend Extralegalen die Freiheit „schenkte“ ,war der Preis den der Staat bereit war zu zahlen, damit sich die Gefangenenbewegung nicht weiter ausbreitet und die Kontakte nach draußen stärker werden.

Die beschriebenen Entwicklungen zwang die Gefangenenbewegung zu einer Zeit der Reflexion über ihre nächsten Schritte und Ziele, sowie ihrer Organisierungs- und Kampfformen. Ihre Strukturen mussten unter diesen Umständen klandestiner werden. Die Zeit nach der Inbetriebnahme der Spezialgefängnisse und -Trakte war eine sehr schwere, für die gefangenen GenossInnen, da die Diskussionen und der Austausch unter sehr rigider Isolation geführt werden mussten. Selbst die Zellen wurden über ein Überwachungssystem der Geheimdienste akustisch abgehört, wodurch die Diskussionen nur schriftlich erfolgen konnten.

Die Gefangenen kamen mehr, mehr zu der Einsicht, dass sie ohne massive Unterstützung von außen in ihren Kämpfen nicht weiter kamen. Andererseits fühlten sie sich von den GenossInnen draußen unverstanden, was die Dimension des Angriffes auf ihre Lebenssituation in Sonderknästen an ging. Zu groß waren die Unterschieden zu den bisherigen Erfahrungen und zu unterschiedlich die verschiedenen Haftbedingungen in den einzelnen Sonderknästen und –Abteilungen.

Durch die „Frühlingskampagne“ der Roten Brigaden 1978 entwickelten sich günstigere Bedingungen die Kämpfe in den Knästen für bessere Lebensbedingungen wieder aufzunehmen und das Kräfteverhältnis zwischen Gefangenenbewegung und Knastregime zu verschieben.

Im Massenprozess in Turin im Juli 1978 verlesen die angeklagten MilitantInnen der Roten Brigaden die Erklärung Nr. 14, ein „sofortiges Programm“. Dieses Programm fasste die Diskussionen innerhalb der Knäste, hauptsächlich der Sonderknäste und –Trakte zusammen. Es zielte auf die Verbesserung der Lebensbedingungen drin und soziale Verbindungen nach draußen (freier Postverkehr, keine Zensur, keine Trennscheibe usw.). Die „Differenzierte Behandlung“ sollte aufhören und alle Sonderknäste und –Abteilungen geschlossen werden. Auf dieser Basis schlugen die Gefangenen die Aufnahme eines neuen Kampfzyklus vor, mit einer starken Verbindung der Kämpfe drin und draußen.

Dieser neue, harte und lange Kampfzyklus begann schon bei Verlesung des Communiqués, welche in Tumulten im Gerichtsaal, vor und im Gebäude endete. Zwischen Juli und August 1978, beginnend in Asinara und sich dann auf die anderen Sonderknäste und –Trakte ausbreitend mobilisierten Massen von Gefangenen zum Kampf. Dadurch unterstrichen sie die Forderungen des Communiqués Nr. 14. Sie sahen ihre Bedürfnisse, eigenen Forderungen und die dringendsten Notwendigkeiten darin artikuliert.

In den Sonderkäste entwickelten sich unterschiedlichste Kämpfe in Wellen, wobei sich diese kontinuierlich ausbreiteten. In allen größeren Städten Italiens fanden Solidaritätsaktionen statt, die die Einheit der Bewegung drin und draußen verwirklichten. Die Aktivitäten waren sehr kämpferisch und vielfältig. Sie reichten von Demostrationen, militanten und bewaffneten Aktionen, Transparenten, Graffitis, bis hin zu Pressekonferenzen, auf denen Familienangehörigen der Gefangenen über die Misshandlungen, denen sie selbst ausgesetzt waren, berichteten. Die Kämpfe der Gefangenen weiteten sich auf den „Normalvollzug“ und die kleineren Knästen in Kleinstädten aus. Überall wo die Widerständigen die Stärke dazu hatten, gründeten sie Kampfkomitees. Diese bestanden aus Delegierten aller Abteilungen, den „Normalen“, den „Speziellen“ und auch den Frauenabteilungen.

Die Strategie des Staates, die widerständigen Gefangenen physisch zu isolieren, um sie so auch politisch zu isolieren erfährt vorerst eine Niederlage. Die Gefangenen entwickeln in ihren Kämpfen trotz der Isolierung eine politisch- ideologische und praktische Einheit. Über acht Monate des Kampfes und nicht enden wollende Mobilsierungen zu den Inhalten des „sofortigen Programm“ drin und draußen hatten es geschafft die Trennung zwischen „normalen“ und „speziellen“ Gefangenen aufzuheben. Die Widerständigen erkämpften sich „relative Freiheiten“. Die Gefangenenbewegung ließ in dieser Situation nicht nach, es ging um alles – die Zerstörung der Knästen, die Freiheit!

Im gesamten Jahr 1979 konsolidierten sich die Kampfkomitees weiter und entwickelten eine immer höre Schlagkraft. Dank der Komitees war eine Organisierung der eigenen „Freizeit“ möglich, vom gemeinsamen Sport, bis hin zum Studium. All diese Bereiche wurden durch sie abgesichert. Die Gefangenen bereiteten sich auf die kommenden Kämpfe und Revolten vor. Im Sonderknast Asinara zum Beispiel, rüsteten sich die Kampfkomitees mit selbst gebauten Waffen aller Art. Darüber hinaus gab es einen intensiven Austausch mit der Bewegung draußen, mit den verschiedenen auch politisch- militärischen Gruppen in der Nähe der Knäste. Und dies in politischer aber auch praktischer Hinsicht, was die Fluchten, als auch Aufstände anging. Im Verlauf des Jahres 1979 gelang fünf Gefangenen die Flucht aus einem Sonderknast in Turin. An der Vorbereitung waren die Kampfkomitees, welche über 1000 Gefangene mobilisieren konnten, maßgeblich beteiligt. Aber es zeigte sich auch, dass die Gefangenen bei ihren Flucht(versuch)en auf Unterstützung von außen angewiesen waren.

Entscheidungsschlachten und das Abflauen der Bewegung

Im September 1979 wurde ein Militanter der Roten Brigaden schwer verwundet und verhaftet. Bei sich trug er Dokumente einer Diskussion zwischen drin und draußen bezüglich einer Massenflucht aus dem Sonderknast Asinara. Der Staat reagierte sofort und entledigte sich der durch die Gefangenenbewegung in Jahren erkämpften Rechte. Intensive Razzien in den Knästen begleiteten die Maßnahmen des Staates. Die Antwort der Kampfkomitees wiederum darauf erfolgte genauso unverzüglich. „Schließung der Sonderknäste und –Abteilungen!“ war die Parole, Aufstand und Zerstörung das Mittel. Die sogenannte Schlacht des 2. Oktober in Asinara verwirklichte die Parole. In diesem Sonderknast waren zu diesem Zeitpunkt 60 Gefangene inhaftiert, ca. 40 Militante verschiedener bewaffneter Gruppen und ca. 20 soziale Gefangene, die als besonders gefährlich galten. Alle beteiligten sich an diesem harten Aufstand, bei dem die Kämpfenden aus Espressomaschienen gebaute Sprengsätze einsetzten, während von Bullen und Militär mit Tränengas und scharfer Munition auf sie geschossen wurde. Nur die starken Barrikaden verhinderten Tote. Der Aufstand hatte das Ziel, durch die vollständige Zerstörung eine Verlegung auf andere Anstalten zu erzwingen. Es gelang zwar den Knast fast völlig zu zerstören, aber Asinara blieb vorerst in Betrieb und wurde wieder aufgebaut. Viele Millionen Lire wurden vom Staat aufgebracht das Gefängnis wieder herzurichten, wobei sich der damalige Knastdirektor und Offiziere der Carabineri und natürlich die Bauunternehmen anständig die Taschen stopften. Dies ist durch Gerichtsakten belegt. Die Schlacht des 2. Oktober wurde zum Symbol der Knastkämpfe dieser Zeit.

Der Druck der Bewegung drin und draußen, reicht nicht aus, um das Problem der Sonderknäste zu lösen. Dabei entsteht eine gewisse Distanz zwischen Gefangenenbewegung und Guerilla , was auf die unterschiedlichen Blickwinkel und Realitäten zurück zu führen ist. Die Behandlung der Gefangenen erreichte nach dem Aufstand eine nicht gekannte Brutalität und Unmenschlichkeit. Tägliche Prügel, Diebstahl persönlicher Gegenstände, Isolation nach innen und außen wurde vielerorts und vor allem in Asinara wieder zum Standard. Im selben Jahr noch wird der Sonderknast in Palmi in Betrieb genommen. Seine besondere Eigenschaft besteht darin, dass hier nur Angehörige der bewaffneten Gruppen der Linken (NAP, BR, FAC, PL, UCC, NAPAP, FCC und Autonomiabewegung) konzentriert sind. Palmi war das Laboratorium des Knastregimes um alle Teile der Bewegung zu studieren. Ziel ist es die die einzelnen Militanten und Organisationen sowie deren Widersprüche, Kultur und Theorien, bis hin zu den sozialen Beziehungen untereinander zu analysieren. Die gewonnen Informationen bildeten die Grundlage für die weitere Zersetzung und Spaltung.

Gleichzeitig eröffnet der Sonderknast von Ascoli Piceno, in dem die rebellischsten und „gefährlichsten“ extralegalen ProletarierInnen konzentriert wurden, mit demselben Ziel. Die Ausdifferenzierung führt zur Einführung verschiedener Kreise. Die Gefangenen werden abhängig von ihrer Herkunft und ihrem Verhalten eingeordnet. Der jeweilige Kreis bestimmt die Haftbedingungen. Vom Verhalten des Gefangenen hängt ab, ob er die Kreise wechseln kann. Im ersten Kreis befindet sich die Masse der Gefangenen in den großen und kleinen, „normalen“ Knästen und Irrenhäusern. In den zweiten Kreis werden die rebellischen Gefangenen und ein Teil der gefangenen KommunistInnen und AnarchistInnen in getrennten Abteilungen eingeordnet. Im dritten Kreis wurden die rebellischsten und „gefährlichsten“ Extralegalen, die Köpfe der gefürchteten Banden, sowie die standhaftesten der bewaffneten, revolutionären Gruppen konzentriert. Die einen kamen nach Ascoli, die anderen nach Palmi. Hinzu kam das schon erwähnte System aus Vergünstigungen und Strafen. Im Laufe der 1980er Jahre kam diese Counterstrategie voll zum Tragen. Vorher allerdings kommt es zum letzten großen Aufbäumen der Gefangenenbewegung im Zusammenhang mit der Guerilla. In den Jahren 1980 und 1981 kommt es zu größeren Aktionen und Revolten in den Knästen von Nuoro, Voltera, Fossombrone und Trani. Die Hauptforderungen bleiben die Schließung der Sonderknäste und –Abteilungen, sowie ein Ende der Differenzierung. Zur selben Zeit versuchen gefangene Guerilla- KämpferInnen und Extralegale bewaffnet eine gemeinsame Flucht aus dem Knast San Vittore in Mailand. Diese werden in den umliegenden Straßen gestellt, zum Teil durch Schusswunden schwer verletzt und wieder gefangen genommen. Im Dezember 1981 entführen die Roten Brigaden den Minister und Richter D’Urso und erzwingen gegen seine Freilassung die Schließung des Sonderknastes Asinara. Kurz darauf bricht im Knast von Trani ein Aufstand der Gefangenen los. Dieser wird äußerst hart und brutal niedergeschlagen. Dutzende Gefangene und Geiseln werden bei der Erstürmung schwer verletzt, 15 Gefangene erleiden Schusswunden. Die Roten Brigaden reagieren darauf wiederum mit der Erschießung des verantwortlichen Carabinieri- General Gavaligi wenige Tage später.

Nach diesen Ereignissen und mit dem Greifen der Differenzierungspolitik des Staates ebbte die Gefangenenbewegung ab und beschränkte sich zunehmend auf symbolischen Protest. Die Zeit der großen Schlachten war vorbei. Parallel zum Niedergang der revolutionären Bewegung und Guerilla, mussten auch die Kampfkomitees, sowie die Gefangenenbewegung insgesamt immer schwächer werden. Ohne eine starke Bewegung draußen, die Öffentlichkeit und Druck schafft, und dies auf allen Ebenen verlieren die Gefangenen ihren Schutz. Es muss auch festgestellt werden, dass ohne Widerstände drinnen wie draußen, und einer „ruhigeren Situation“ in den Gefängnissen, der Staat die Konditionen der Gefangenen wieder verschlechtert. So beschert der in „ruhigen“ Zeiten eingeführte Artikel 90 den Gefangenen in den Sondergefängnissen wieder drastische Einschränkungen (Besuche nur mit direkten Verwandten, keine Pakete von draußen, nur drei Bücher auf Zelle,…).

Zu Fragen wäre welche Wirkungen diese Kämpfe auf die heutige Situation haben, welche Positionen zum Allgemeingut der Gefangenen geworden sind. Was können wir aus ihnen lernen? Festzuhalten ist:

  1. Es für mehr Rechte in den Knästen eine Selbstorganisierung der Gefangenen geben muss.
  2. Es eine starke Verbindung der Kämpfe drin und draußen geben muss.
  3. sich die Situation der Gefangenen ohne Widerstand stets verschlechtert.

Wir hoffen wir konnten euch mit unserem Text einen kleinen Einblick in die Knastkämpfe in Italien dieser Zeit gewähren.

Ende

(im nächsten und letzten Teil, Exkurs NAP, gehen wir auf die „Nuclei ArmatiProletari „ ein)