Der 3. Oktober wird deutschlandweit als Tag der Einheit gefeiert. Doch diese gefeierte „Einheit“ brachte auch viele negative soziale Auswirkungen mit sich. Eine davon ist der Ausverkauf der Wohnungen und die damit einhergehende Verdrängung. Wir wollen diesen Nationalfeiertag mit unserem Inhalt füllen – entgegen herrschender Geschichtsschreibung Deshalb rufen wir zur „Mieten runter – Löhne rauf“- Kundgebung am 3. Oktober 2019 um 13:00 Uhr am Olvenstedter Platz auf. Für Mittagessen und Getränke ist gesorgt.
Zu den signifikantesten sozialen Auswirkungen nach der Wende zählt wohl die hohe Arbeitslosigkeit, die durch den Wegzug und Zusammenbruch der Industrie entstand. Außerdem kämpfen Menschen heute immer noch um Anerkennung ihrer in der DDR erworbenen Berufsabschlüsse. Alles fing mit der Treuhand an: Per Einigungsvertrag hat die Bundesrepublik im Oktober 1990 damals das Vermögen und die Schulden der DDR übernommen. Die Aufgabe, das DDR-Vermögen zu privatisieren, hatte die Treuhandanstalt. Diese Treuhand war verantwortlich für den Ausverkauf der Volkswirtschaft. Von Korruption durchzogen, übernahmen hauptsächlich westdeutsche und ausländische Firmen die ehemaligen Volksbetriebe.
Auch Wohnungen wurden massenweise von westdeutschen Kapitalanlegern aufgekauft. Auch heute noch werden Wohnungen in ostdeutschen Städten vom meist westdeutschen Mittelstand erworben. Dies dient vor allem ihrer eigenen Altersvorsorge – auf Kosten der Mieter*innen.
In Magdeburg wurden seit der Wende keine neuen Sozialwohnungen mehr gebaut. Im Gegenteil. Wie in ganz Deutschland, wurde der Bestand durch Abriss und Privatisierung drastisch verringert. Seit einigen Jahren geht auch in Magdeburg der Trend in die Richtung, für die zahlungskräftige Oberschicht Wohnraum entstehen zu lassen. So entstehen beispielsweise in Buckau und Stadtfeld immer neue Loft-Wohnungen, am Elbbahnhof ein ganzes Luxusviertel oder das neue, schicke Domquartier. Für kleine Leute bedeutet dies die Verdrängung aus den aufgewerteten Vierteln durch das Ansteigen des Mieten. Aber nicht nur angesagte Bezirke oder andere attraktive Standorte sind davon betroffen. Auch in Bezirken wie Olvenstedt oder Neustadt steigen durch künstliche Wohnraumverknappung die Mieten. Immer mehr Platten, in denen einst erschwingliche Wohnungen vermietet wurden, werden abgerissen und durch Einfamilienhäuser ersetzt.
Auch das Haus der Alexander-Puschkin-Straße 20, in welchem sich der Infoladen Stadtfeld befindet, blieb in der Vergangenheit nicht verschont von Aufwertungs- und Befriedungsversuche. Durch die Sanierung einiger Wohnungen und mehrere Hausverkäufe kam es auch dort zu Mietsteigerungen. Des Weiteren klagen die privaten Mietparteien über Mängel an der Bausubstanz und Mietvertragsbrüche (z.B. zustehende, aber unbenutzbare Stellflächen). Solche Erfahrungen sind jedoch kein Einzelfall.
So schön die Sanierungen und Renovierungen optisch oder bezogen auf die Wohnqualität auch sein mag, so problematisch entwickelt sich die Situation für Menschen, deren Einkommen mit den steigenden Mieten nicht mehr mitkommt. Ob mensch schon über Jahre hier wohnt und seinen Lebensmittelpunkt im Viertel hat, findet in der Rechnung der Profiteure dieser Umgestaltungen keinen Platz. Als das Bild Stadtfelds noch von grauen Fassaden und baufälligen Häusern geprägt war, hielt sich das Interesse zahlungskräftiger Mieter eher in Grenzen. Niemandem, mit entsprechenden finanziellen Voraussetzungen, wäre in den Sinn gekommen sich hier einzumieten. So war der Kiez also überwiegend von proletarischen Menschen bewohnt.
Wahrscheinlich aufgrund des übermäßigen Leerstandes wurde das Viertel auch zum Treffpunkt und Lebensraum der Magdeburger Punk- und autonomen Szene. Eben dieser Konzentration von Menschen, welche eine Alternative zum kapitalistischen Lebensmodell suchten, oder unter der Ausbeutung in diesem System zu leiden hatten, ist es zu verdanken, dass den oben schon erwähnten Prozessen der Verdrängung vielseitiger Widerstand entgegengebracht wurde. So wurde z.B. regelmäßig der Olvenstädter Platz besetzt, um gewissen Forderungen der Stadt gegenüber Nachdruck zu verleihen. Außerdem existierten eine Vielzahl an schwarz bezogenen Wohnungen und besetzten Häusern.
Auch wenn die Menge an selbstverwalteten oder besetzten Häusern mit den 2000er Jahren stark zurückgegangen ist, kann von einer Kontinuität im Bestreben solche Plätze zu schaffen bzw. zu erhalten, gesprochen werden. Erwähnenswert ist hier z.B. das Ulrike Meinhof Haus auf der Großen Diesdorfer Straße, der Infoladen in der Alexander Puschkin Straße, das AJZ (Arbeiter und Jugend Zentrum) Alex in der Pestalozzistraße (siehe hierzu auch die Broschüre „27 Jahre Klassenkampf im Kiez/Stadtfeld bleibt widerständig”) und das neue F52. Gemeinsam haben diese Projekte, dass sie Orte sind oder waren, an denen Menschen sich unabhängig von ihrer sozialen Herkunft treffen, austauschen oder sogar zusammen leben.
Die Oma und der Opa, deren Rente kaum zum Leben reicht, die Jugendlichen und Arbeitslosen , sowie die Arbeitnehmenden, die im Betrieb ausgebeutet werden und die Familie, die 50% ihres Einkommens für die Miete aufwenden muss, müssen an einen Tisch kommen. Die Probleme, die wir gemeinsam haben, können nur gemeinsam gelöst werden. Nämlich durch eine Organisierung von Unten. Zusammen mit allen Beteiligten und auf Augenhöhe muss den Angriffen gegen uns geschlossen entgegengetreten werden. Mit einer Stimme sollten wir gegen die Fremdbestimmung unseres Lebens durch die kapitalistische Verwertungslogik anschreien.