Aufruf der Gruppe Proletarische Autonomie Magdeburg, zur 8. März 2020
Demonstration – 15 Uhr, Hasselbachplatz, Magdeburg
Der 8. März gilt als Weltfrauen*tag – ein Tag, an welchem uns Frauen* Blumen gegeben werden, – wenn wir nicht mit Werbung für Kosmetikprodukte überhäuft werden- wir beglückwünscht werden und uns Wertschätzung ausgesprochen wird. Aber diesen Tag als einen Tag der Dankbarkeit zu verstehen, ist nichts anderes als Heuchlerei. Tatsächlich offenbart uns der 8. März die tägliche Unterdrückung, in der Frauen* aus der ganzen Welt leben. Wir müssen uns die Frage stellen, warum wir nur an einem Tag im Jahr Frauen* anerkennen? Dieser Tag würde nicht existieren, wenn Frauen* einen Platz als freie Wesen in dieser Gesellschaft hätten. Wenn Frauen* jeden Tag respektiert und wertgeschätzt und in einer gleichberechtigenden Gesellschaft leben würden.
Der 8. März ist der Tag, an welchem im Jahr 1857 mehr als 100 Frauen in New York zu Tode verbrannt sind durch ihren Boss, während sie in ihrer Fabrik für ihre Rechte als Arbeiterinnen streikten. Es ist der Tag der revolutionären Frauen*, wie Clara Zetkin, die im Jahr 1910 in der Zweiten Internationalen Konferenz der Sozialistischen Frauen den 8. März als Tag der Internationalen Arbeiterinnen vorgeschlagen hatte. Und allgemein ist der 8. März der Tag, um jeder unterdrückten Frau* zu gedenken und uns bewusst zu werden, dass jeder Tag ein Kampftag ist, bis wir soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit erlangen.
Die Mär des liberalen Feminismus
Denn Geschlechterunterdrückung ist tiefgehender als nicht den gleichen Lohn zu bekommen wie Männer oder nicht ausreichend Richterinnen oder Präsidentinnen zu haben. Deshalb sehen wir unsere Befreiung auch nicht innerhalb des liberalen Staates, der uns von Zeit zu Zeit gesetzliche Verbesserungen „gönnt“, wie jüngst die Aufhebung des Informationsverbots von ÄrztInnen, die Abtreibungen durchführen. Aufgrund seines Eintretens für die Freiheitsrechte des Individuums bot sich der Liberalismus in der Geschichte scheinbar vielfach als Bündnispartner der bürgerlichen Frauenbewegung an. Der liberale Feminismus sieht zwar die Ungerechtigkeiten, unter denen Frauen* leiden, kritisiert allerdings nicht das System an sich. Deshalb geht es dem liberalen Feminismus darum, mehr Frauen* ins System zu integrieren und diese Strukturen für Frauen* öffnen. Dies kann aber nicht gelingen. Neben einer enormen Unterrepräsentierung in allen Bereichen dieses Systems, können wir außerdem sehen, dass viele führende Politikerinnen* oder Managerinnen* sich eher „männlich“ und patriarchal verhalten, also scheinbar männliche Attribute annehmen, wie Härte, Strenge und Kälte. Aber wir wollen nicht dem dominanten männlichen Standard gleichgemacht werden.
Die wirtschaftliche Ausbeutung von Frauen* als Grundpfeiler des Kapitalismus
Abgesehen davon erledigen immer noch Millionen von Frauen* unbezahlt die Hausarbeit und Erziehung der Kinder, damit der Rest der Familie unbesorgt in die Schule oder offizieller Lohnarbeit nachgehen kann, um sich im System einzureihen. Solange diese Reproduktionsarbeit weiterhin privat und nicht gesellschaftlich geregelt ist, wird dieser Zustand weiter andauern. Außerdem belegen Frauen* immer noch den größten Anteil an prekären Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnsektor und haben somit ein größeres Armutsrisiko – vor allem migrantische Frauen* sind hiervon betroffen, da sie aufgrund zusätzlicher rassistischer Diskriminierung kaum eine anständige Anstellung finden. Wir sehen ähnlich, wie die Genossinnen aus Frankfurt1, dass unser Antirassismus deshalb auch Teil einer antiimperialistischen Strategie sein muss, um nicht rein humanitär zu bleiben, da der globale Kapitalismus angewiesen ist auf neokoloniale Ausbeutungsstrukturen, die Menschen u.a. dazu bringen, ihre Herkunftsorte zu verlassen. Durch eben imperialistische Einflussnahme des Westens herrschen dort noch krassere Verhältnisse von Krieg und Gewalt.
Außerdem ist es kein Zufall, dass wir Frauen* primär im untersten Lohnbereich angestellt sind, wurden wir doch mit den Umbrüchen der industriellen Revolution in Konkurrenz zu den Arbeitern als billige Arbeitskraftreserve gesehen, was bis heute anhält. Auch die Einführung der Frauenquote änderte an diesem Zustand nichts. Die Frauenquote ist ein Instrument der Herrschenden, um unseren Widerstand psychologisch zu untergraben. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Instrument uns selbst zu Ausbeuterinnen* macht, spaltet es die Bewegung, wenn einigen Auserwählten Privilegien gegeben werden und der Rest durch die Hoffnung auf einen Aufstieg stillgehalten wird.
Der Kapitalismus hat die Frauen* in das System integriert, um seine Legitimation nicht zu verlieren – und er wird versuchen, sie noch weiter zu integrieren. Wir sehen also, dass wir uns bei unserer Befreiung nicht auf die Gunst der Politik und der Wirtschaft verlassen können. Das System ist abhängig von unserer Ausbeutung und wird uns nicht befreien.
Das System der Gewalt
Unser Problem ist also das Patriarchat und der Kapitalismus: ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles System, welches in der systematischen Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen* basiert. Damit versklavt es die ganze Gesellschaft und öffnet eine Tür zu allen Arten der Gewalt und Diskriminierung. Denn indem Männern erlaubt wird, Gewalt über Frauen* auszuüben, lassen sich erstere von den Herrschenden besser kontrollieren. Dadurch, dass der private Bereich ein Schutzraum vor der staatlichen Gewalt darstellt, kann das Familienoberhaupt unbesorgt Gewalt über Frau und Kind ausüben. So wird die Herrschaft des Systems reproduziert und gesichert.
Die genannte Gewalt ist im Leben einer jeden Frau* kontinuierlich präsent – abgesehen von häuslicher Gewalt und unbezahlter Hausarbeit, lassen sich noch Belästigungen und sexistische Kommentare auf der Arbeit, in der Schule oder auf der Straße aufzählen, sowie Zwangsheirat, Zwangsprostitution, Geschlechtsverstümmlungen und sogar Mord. Gleichzeitig aber sendet das System uns die Nachricht, still zu sein, schwach und gehorsam, damit wir nicht selbst das nächste Opfer zu werden. Besonders uns als Frauen* wurde in unserer Erziehung eingebläut, keine Gewalt auszuüben, was uns viel zu oft fügbar macht, wenn Gewalt gegen uns angewendet wird. Und der Staat nimmt dieses Geschenk dankend an, da wir ihm so nicht gefährlich werden können.
Der Kampf um Befreiung ist international
Aber unglücklicherweise für das System hatten wir als Frauen* schon immer die Fähigkeit, unsere Angst und unsere Traurigkeit in Wut umzuwandeln, unsere Wut in Bewusstsein und Organisierung und unsere Organisierung in Kampf. Den Menschen, die behaupten, wir hätten kein Recht uns zu beschweren, weil wir schon frei seien in Deutschland und es anderen Frauen auf der Welt noch viel, viel schlechter gehe, entgegnen wir: Unterdrückung ist kein Wettkampf! Wir messen den eigenen Grad der Befreiung nicht am Grad der Unterdrückung anderer. Was sie nicht sehen, ist, dass ihr Einwurf also kein Argument gegen Emanzipationsbestrebungen ist, sondern eins mehr dafür, unsere Kämpfe international stärker zu verknüpfen.
Denn wir treten ein Erbe an von einem tausende von Jahre alten Kampf von Frauen* gegen das Patriarchat, Kapitalismus und Faschismus: Angefangen von den Amazonen, die gegen die neu entstehenden patriarchalischen Staaten kämpften, über den Widerstand und der klandestinen Organisierung von sog. Hexen im Mittelalter und den Tausenden die im Kampf gegen das faschistische Europa starben, bis hin zu den Wellen der europäischen Frauen*bewegungen. Außerhalb von Europa blicken wir mit Ehrfurcht auf die Frauen*, die für Selbstbestimmung und gegen den Imperialismus in Palästina und Kurdistan kämpfen, sowie auf diejenigen, die ihr Land und ihre Natur in Amerika und in Afrika verteidigen und die Frauen*, die in Indien und anderen Teilen Asiens gegen Ausbeutung und Feminizide kämpfen.
Eine befreite Gesellschaft kann nur frei sein, wenn ALLE frei sind
Wir haben ein unglaubliches revolutionäres Potenzial, dessen wir uns bewusst werden sollten. Wir glauben, der einzige Weg, um die Gesellschaft von Patriarchat, Kapitalismus und Faschismus zu befreien, ist die lokale Selbstorganisierung von uns Frauen* in einem gemeinsamen, internationalen und revolutionären Kampf –außerhalb des Staates. Denn wir können nicht diejenigen um Freiheit bitten, die von unserer Unterdrückung profitieren. Die Frauenbewegung war schon immer eine kraftvolle politische Strömung. Die Geschichte hat jedoch schon oft gezeigt, dass, sobald progressive Bewegungen institutionalisiert werden, also z.B. in Parteien integriert oder verwandelt wurden, es zu einem Stillstand jener Bewegung kommt. Sie verliert an revolutionärer Kraft dadurch, dass sie in das liberale System eingebettet und von nun an an einen rechtsstaatlichen Rahmen gebunden ist. Deshalb hört für uns der Kampf um Befreiung, z.B. nicht bei der Abschaffung des Abtreibungsparagrafen auf: Für eine migrantische Frau ohne Papiere, spielt das keine Rolle, da sie so oder so keinen Zugang zum System hat. Deshalb müssen wir aufpassen, bei Verbesserungen von Lebensbedingungen innerhalb des Systems (durch Reformen), nicht das Ziel, nämlich die Überwindung des Systems, aus den Augen zu verlieren, da Reformen zudem ständig die Gefahr bergen, zurückgenommen zu werden mit einem politischen Herrschaftswechsel.
Genauso wenig können wir erwarten, dass die Geschlechterbefreiung automatisch mit der Zerstörung der Klassengesellschaft und des Staates kommt. So funktioniert das Patriarchat nicht. Feminismus muss von vornherein elementarer Bestandteil unseres revolutionären Kampfes sein.
Der Kampf für unsere Freiheit beginnt jetzt, hier, mit uns, indem wir uns unserer Unterdrückung bewusst werden, uns selbst organisieren, Selbstverteidigungsstrukturen schaffen und gleichberechtigte Beziehungen aufbauen, die fähig sein werden, die patriarchale Mentalität, die uns allen aufgedrückt wurde, zu überwinden.
Frauen*, die kämpfen, sind Frauen*, die leben!
Gegen Patriarchat, Kapitalismus und Faschismus!
Für eine befreite Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung!
Proletarische Autonomie Magdeburg
1Aus: Reclaim Feminism! Für einen revolutionären Feminismus – Siempre* Antifa Frankfurt/M