Der 25. November gilt als internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Hier in Magdeburg organisiert deshalb an diesem Tag ein Netzwerk aus Frauen eine Kundgebung, um die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken. Vor allem lokale Fälle von Gewalt führen uns vor Augen, wie sehr jede Einzelne diese Gewalt betrifft. Wir rufen euch deshalb dazu auf, an dieser Kundgebung teilzunehmen:
Datum: 25.11.2020
Ort: Willy-Brandt-Platz (Hbf Magdeburg)
Uhrzeit: 15:00 Uhr – 18:00 Uhr
Allgemeiner Aufruf der Kundgebung: https://www.instagram.com/p/CHxfCEhANF8/
Warum es überhaupt nötig ist, einen solchen Tag auszurufen, wollen wir mit diesem Aufruf deutlich machen. In Deutschland wird statistisch gesehen jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners ermordet. Die offiziellen Statistiken der Stadt Magdeburg verraten uns, dass es fast jede Woche im Jahr 2019 eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung gab. Und das sind nur die Fälle, die angezeigt wurden. Wenn wir von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sprechen, dann reden wir nicht nur von sexistischen Witzen, oder Beleidigungen. Um auf die reale Gewalt aufmerksam zu machen, der wir als Frauen ausgesetzt sind – und dazu dienen Tage wie diese -, möchten wir im Folgenden einige lokale Fälle wiedergeben, in denen Frauen Betroffene dieser Gewalt wurden. Eine Gewalt, die auch zum Tode führt. Dies soll auch deutlich machen, dass diese Gewalt nie persönliche oder Einzelfälle sind, sondern permanent stattfindet und strukturell ist.
Gewalt gegen Frauen betrifft uns alle
Im Jahr 2012 wird eine 18-jährige junge Frau von ihrem Partner in einer Gartensparte in Stadtfeld-West ermordet.
Im Jahr 2018 wird eine Mutter vor einer Kita im Stadtteil Kannenstieg, aus welcher sie ihre Kinder abholen wollte, von ihrem Ex-Partner mit dem Messer niedergestochen. Dasselbe passiert ein Jahr später einer Frau, die in einem Supermarkt in Stadtfeld-Ost einkaufen möchte. Auch sie wird von ihrem Ex-Partner in aller Öffentlichkeit mit dem Messer angegriffen.
Des Weiteren wird ein nur 14-jähriges Mädchen auf der Herbstmesse 2018 vergewaltigt.
Und im Jahr 2019 entkommt eine 76-jährige ältere Dame nur knapp einer sexuellen Nötigung auf einem Friedhofsgelände im Stadtteil Leipziger Straße.
Hinter der Gewalt steht eine institutionalisierte Maskulinität
Es gibt noch zahlreiche weitere Fälle – darunter auch Morde – aus diesem und den vergangenen Jahren. Aber diese fünf Fälle genügen, um unser Anliegen deutlich zu machen. Die geschilderten Fälle sind auch nur diejenigen, die es aufgrund der ausländischen Herkunft des Täters in die Presse geschafft haben. Tatsächlich zeigt die offizielle Kriminalstatistik für das Land Sachsen-Anhalt, dass der Großteil dieser Gewalt von Männern mit deutscher Herkunft ausgeht. Oder es sind Fälle, die aufgrund ihrer Brutalität bekannt geworden sind. Die Dunkelziffer ist bei Weitem höher und der Großteil der Gewalt findet innerhalb der Familie statt. Dadurch, dass der private Bereich ein Schutzraum vor der staatlichen Gewalt darstellt, kann das vermeintliche Familienoberhaupt unbesorgt Gewalt über Frau und Kind ausüben. So wird die Herrschaft des Systems reproduziert und gesichert. Das Symbolsystem der patriarchalen Familie dient dabei der Legitimierung des Staates und bildet somit eine seiner ideologischen Stützen. Es ist ein patriarchales System, welches Männern viel zu oft die Entscheidungsgewalt über einen weiblichen Körper überlässt.Hinzu kommt eine psychologische Komponente der Gewalt, die sich zwar nicht physisch niederschlägt, von welcher aber Frauen im täglichen Leben betroffen sind.
Schuld ist das Patriarchat
Wir sehen also, dass wir entgegen mancher Behauptungen und Gegenüberstellungen hier in Deutschland, hier in Magdeburg, als Frauen nicht sicher sind. Nach einem Angriff wird oft versucht, uns die Schuld oder eine Teilschuld zuzuschreiben. Sie sagen, unser Rock sei zu kurz gewesen. Oder sie sagen, wir waren betrunken und hätten es doch auch gewollt. Sie sagen, wir hätten uns nachts eben nicht alleine draußen herumtreiben sollen. Solche Beschuldigungen sind zahlreich und üblich. Tatsächlich aber zeigen uns diese Fälle, dass die Gewalt vor keiner vor uns zurückschreckt. Es spielt keine Rolle, wo wir uns aufhalten, ob wir in einem ärmeren Bezirk wie Kannenstieg sind oder in einem wohlhabenderen Stadtteil wie Stadtfeld wohnen. Ob wir nachts unterwegs sind, um zu feiern oder ob wir tagsüber einfach nur einkaufen wollen. Es macht keinen Unterschied, ob wir 14-jährige Mädchen sind oder 76-jährige Frauen sind, ob wir betrunken sind oder nüchtern.
Wir sind nicht schuld. Es ist das Patriarchat, welches Männern eine Mentalität auferlegt, eine Art zu denken, nach derer Frauen untergeordnet und unterlegen seien. Als Mann in dieser Gesellschaft hast du also die Verantwortung, diese Denkweise nicht zu reproduzieren oder bei anderen zu tolerieren.
Organisierung als Selbstverteidigung gegen die Gewalt des Systems
Und was können wir als Frauen tun? Die genannte Gewalt ist im Leben einer jeden Frau kontinuierlich präsent und die Mentalität, die hinter einem sexistischen Spruch oder einer Beleidigung steht, ist dieselbe, die in einem anderen Fall zum Tod einer Frau führt. Gleichzeitig aber sendet das System uns die Nachricht, still zu sein, schwach und gehorsam, damit wir nicht selbst das nächste Opfer zu werden. Besonders uns als Frauen wurde in unserer Erziehung eingebläut, keine Gewalt auszuüben, was uns viel zu oft fügbar macht, wenn Gewalt gegen uns angewendet wird. Der Staat wird uns nicht retten, denn er spielt eine fundamentale Rolle in der Aufrechterhaltung dieses Systems. Im Gegenteil nimmt er dieses Geschenk der gewaltfreien Erziehung von Mädchen dankend an, da wir ihm so nicht gefährlich werden können.
Aber unglücklicherweise für das System hatten wir als Frauen schon immer die Fähigkeit, unsere Angst und unsere Traurigkeit in Wut umzuwandeln, unsere Wut in Bewusstsein und Organisierung und unsere Organisierung in Kampf. Den Menschen, die behaupten, wir hätten kein Recht uns zu beschweren, weil es anderen Frauen auf der Welt noch viel schlechter gehe, entgegnen wir: Unterdrückung ist kein Wettkampf! Wir messen den eigenen Grad der Befreiung nicht am Grad der Unterdrückung anderer. Zumal mit den aufzeigten Fällen mehr als deutlich wurde, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch vor Ort ein großes Problem darstellt.
Wir glauben, der einzige Weg, um die Gesellschaft von Patriarchat zu befreien, ist die lokale Selbstorganisierung von uns Frauen in einem gemeinsamen Kampf. Der Kampf für unsere Freiheit beginnt jetzt, hier, mit uns, indem wir uns des Ausmaßes der Gewalt bewusst werden, uns selbst organisieren, Vertrauen und Freundschaften aufbauen und unabhängige Selbstverteidigungsstrukturen schaffen, die in der Lage sein werden, Frauen aufzufangen und den Angriffen etwas entgegenzusetzen. Wir stellen keine Bitten oder Forderungen an den Staat. Wir vertrauen dabei auf uns, unsere Organisierung und unseren Zusammenhalt. Wo es eine Betroffene gibt, gibt es auch einen Täter. Und wenn wir Frauen uns organisieren, dann sollte er sich gut verstecken.
Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben!
Kampf dem Patriarchat!
Proletarische Autonomie Magdeburg,
25.November.2020
Aufruf als pdf hier herunterladen: Aufruf 25. November_A5