Februar 2018,
das Jahr war noch nicht alt, besetzen mehrere junge Menschen in der Leipziger Straße 13 ein Gebäude. Es ging nicht um das Aneignen des leeren und ungenutzten Gebäudes, es war auch kein rebellischer Jugendscherz. Stattdessen ging es darum, symbolisch auf die hiesige Wohnraumpolitik und Umstrukturierung zu Gunsten der Reichen aufmerksam zu machen.
Spricht man in der Provinz von Gentrifizierung (soziale Verdrängung), denken die meisten, dass dies nur Großstädte und Metropolen betrifft. Der Mietenwahnsinn findet dort eine gewisse mediale Beachtung, was auch auf die Kämpfe der betroffenen Mieter zurückzuführen ist. So wie diese Auseinandersetzungen ihren Platz in der Metropole haben, so haben diese Kämpfe und Forderungen nach besseren Wohn- und Lebensbedingungen auch ihren Platz in der Provinz und somit auch in der Stadt Finsterwalde. Denn auch hier ist man von Umstrukturierungen und Aufwertungsprozessen zu Gunsten der Besserverdiener nicht ausgenommen. Umstrukturierung hat viele Gesichter. Eines davon schließt die Verdrängung von Menschen ein, die aufgrund ihrer sozialen Lage aus ihrer gewohnten Lebensumgebung verdrängt und vertrieben werden, um für diejenigen Platz zu machen, die sich die neuen Kosten leisten können. Menschen mit weniger Einkommen bleibt oft nur die Möglichkeit am Stadtrand bezahlbare Wohnungen zu finden. So ist es üblich und den meisten bekannt. In der Provinz jedoch kann Verdrängung nochmal anders aussehen.
Finsterwalde ist eine von vielen ostdeutschen Kleinstädten, bei der nur ein sehr eingeschränkter Arbeitsmarkt existiert. Die Nahverkehrsstruktur wurde durch die Privatisierung der Bahn seit 1990 zurückgebaut, sodass auch hier viele Verbindungen nach und nach wegfielen. Die Gewinnmaximierung äußert sich besonders durch schlechte Qualität in fehlenden Streckenanbindungen und teurer Preise für die Nutzung des Nahverkehrs. Dementsprechend hat die Region, wie auch die Stadt, mit einer hohen Arbeitslosenrate und der Abwanderung zu kämpfen.
Die Folge ist, dass junge Menschen nach ihrer Schulzeit, durch mangelnder Perspektiven und Angst vor drohender oder schon existenter Armut in den Drogensumpf abrutschen oder gar die Stadt verlassen. Einher geht dies mit der sogenannten hohen Drogen- und Beschaffungskriminalität. Auf fehlende Perspektiven wird etwa nicht mit alternativen städtischen Angeboten geantwortet, Nein, die Antwort sind kommerzielle Konsumveranstaltungen a la Jan Delay auf dem Marktplatz für 50 Euro. Inklusive Innenstadtsperrung versteht sich. Wo kämen wir denn hin, wenn man sich bei Konsumveranstaltungen im öffentlichen Raum frei bewegen dürfe.
Im Gegenzug gibt es kaum bis gar keine städtischen, sozialen Einrichtungen und Veranstaltungsorte, wo sich Menschen kostenlos, frei und selbstbestimmt entfalten können.
So wurde 2005 die „Juselhalle“ als eine der letzten und wenigen Jugendeinrichtungen wegen offiziell angeblichen Verfalls des Gebäudes geschlossen. An einer Sanierung des Gebäudes oder einem Ausweichobjekt wurde erst gar nicht gedacht. In der „Juselhalle“ fanden fast wöchentlich Partys und Konzerte der verschiedensten Subkulturen statt. Dies wurde selbst organisiert und größtenteils auch selbst finanziert. Städtische Unterstützung gab es selten. Nicht vergessen, war die Nutzungsmöglichkeit der Juselhalle auch nur ein Zugeständnis der Stadtverwaltung zurückzuführen auf die Besetzungen der Hauptverkehrskreuzung vor der großen Unterführung in den 1990 iger Jahren.
Ohne Protest, hätte es das sonst nicht gegeben.
Auch 2017 sollte dann wieder eine der letzten Jugendeinrichtungen durch Projekte der Stadt Finsterwalde weichen, dies konnte bisher abgewendet werden. Aus Langeweile und dem Fehlen von Räumlichkeiten treffen sich viele der jungen Menschen auf den Straßen und lassen sich an öffentlichen Orten nieder, um zu feiern und um gemeinsam Zeit zu verbringen. Was in vielen Städten als modern, kulturelle Vielfalt und Entwicklung gesellschaftlichen Lebens gilt, wird hier gerne als Problem von den Stadtoberhäuptern betrachtet. Denn junge Menschen „verschandeln“ das Stadtbild und, schlimmer noch, tragen nichts zur Staatskasse bei. An uns kann man nicht verdienen, also steht uns auch nichts zu. Anstatt der Jugend Räumlichkeiten in Aussicht zu stellen, sie von den Straßen zu holen, macht es eher den Eindruck, die Jugend in Finsterwalde mit Polizeipräsenz zu konfrontieren. Sei es beim Grillen im Park, beim Skaten oder beim Ausleben künstlerischer Talente an Legalen Wänden.
Die Stadt verfolgt indes durch die Sanierung der Innenstadt das Ziel sich für mögliche Interessenten und Touristen attraktiv zu machen. Investitionen in Millionenhöhe sollen die Straßen und Plätze verschönern. Westdeutsche Stadtplanungen verdrängen den eigentlichen Ostdeutschen Kleinstadtcharme. Immer weniger findet man die gewohnten Kleinpflasterwege oder klassischen Steinlaternen. Plätze wurden so zu tristen Betonwüsten, wie der Marktplatz der Stadt. Schick wird die Mitte und weitere Teile der Stadt seit Jahren herausgeputzt. Unsere Stadt ist nicht wiedererkennbar. Der geplante Bau einer millionenschweren Stadthalle verschärft erneut den Konflikt zwischen Bevölkerung, Investoren, Initiativen und der Stadtverwaltung. Eine Stadthalle die vor allem nur denjenigen dient, die damit profitieren wollen. Es geht nicht um einen Ort wo Menschen aus Finsterwalde sich treffen und organisieren, ins Gespräch kommen oder Veranstaltungen machen können. Es soll nur dem Konsum dienen und Gewinne erzeugen. Ausgegrenzt werden somit die Menschen die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen.
Vorangetrieben wird seit 2011 die Idee einer Stadthalle besonders vom amtierenden Bürgermeister. Weniger hohe Investitionen in schon bestehende Gebäude wurde von Anfang an abgelehnt. Nachdem sich eine Bürgerinitiative gründete und gegen die Stadthalle klagte, stieg der Druck innerhalb der Stadt. Es kam zum Kompromiss. Durch die Rücknahme der Klage sollte es nun einen Bürgerentscheid geben. Wochen vor dem Bürgerentscheid hing die Stadtregierung in Finsterwalde zig Plakate und Banner mit der Aufschrift „Ja zur Stadthalle“ auf, richtete extra ein Informationsbüro für die Stadthalle ein, indem den Menschen Fakten vorgelogen wurden um mit „Ja“ zu stimmen. Ein weiteres mal wurde so mit ungleichen Mitteln, in dem man Gelder in Wahlpropaganda rein pumpte, die demokratische Entscheidung zu Gunsten der Stadthallenbefürworter beeinflusst.
Frei nach dem Motto: Wer das Geld hat, hat die Macht !!!
Schon jetzt ist die Oscar-Kjellberg-Straße, welche der Standort der neuen Stadthalle sein soll, nicht wieder zu erkennen. So entstehen in der extra neu gemachten Straße Miets- und Eigentumswohnungen. Schon daran kann Mensch erkennen, was die Stadthalle bezwecken soll.
Sie soll eine reiche Schicht anlocken und zum Zuzug verleiten.
Die Oscar-Kjellberg-Straße ist nicht der einzige Ort, an dem sich der Luxuswahn bemerkbar macht. So wurde in den letzten Jahren der Innenstadtbereich um der Sparkassenzentrale herum von eben dieser aufgekauft und luxussaniert. Es entstanden etliche neue Sparkassenbüros und unbezahlbare Luxuswohnungen. Mehre Wohnhäuser waren noch von Menschen bewohnt, welche für die Luxussanierungen weichen sollten. Die Sparkasse bot den Bewohnern mehrere tausend Euro, wenn sie ihre Wohnungen verlassen, aber einige weigerten sich. Nach mehreren Drohungen, Erhöhung des Erpressungsgeldes und durch die Angst, die späteren Mieten nicht mehr tragen zu können, brachen auch die letzten BewohnerInnen ein und verließen die Häuser. Das gesamte „Sparkassen Viertel“ wird zusätzlich Kamera überwacht, so kann Mensch keinen Schritt mehr gehen, ohne mehrmals abgefilmt zu werden. Aber nicht nur in der Innenstadt saniert die Sparkasse, auch in der Friedrich-Engels-Straße entstehen zurzeit Neubauten, welche mehrere Eigentumswohnungen enthalten sollen. Das denkmalgeschützte Objekt, was auf dem Grundstück existiert, wurde mit der Aussage „Wir wussten von dem Denkmalschutz nichts“ einfach abgerissen. Auch die Wohnungsgesellschaft Finsterwalde sieht in der Luxussanierung den großen Gewinn.
Im Plattenbauviertel Finsterwalde-Süd wurde als Testprojekt ein Plattenbau Teilrückgebaut und zu einem Luxusobjekt umgebaut. Die ehemalige Platte aus DDR-Zeiten sollte erst zu einem Flüchtlingsheim umfunktioniert werden, dieser Plan wurde aber schnell wieder gestrichen und die geflüchteten Menschen wurden erst abseits der Stadt in eine im Wald stehende Platte verfrachtet und dann in Wohnungen im Stadtgebiet verteilt. In der Grabenstraße entstanden 2017 zwei neue Wohnhäuser, die neuen Wohnungen wurden erst als „Sozialwohnungen für Benachteiligte“ beworben, doch nach Fertigstellung entpuppten sich die Wohnungen als unbezahlbar für „Sozial-Benachteiligte“. Auch private Wohnungsvermittler folgen nach und nach dem Trend der teuren Mieten. Dazu kommt, dass die Mieten von unseren noch bezahlbaren Wohnungen über die Jahre kontinuierlich ansteigen. Viele Wohnungen befinden sich in miserablen Zuständen, sind befallen von Feuchtigkeit und Schimmel. Gezielt werden Mieter so gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt. Nur die Profite zählen. Vermieter unternehmen dagegen selten was.
Um genug MieterInnen für diese teuren Wohnungen zu finden, startete die Stadt Projekte wie z.B. der „Wiederkehrer-Laden“ oder die „Wiederkehrer Tage“. Mit solchen Projekten sollen Menschen zurückgeholt werden, die damals die Stadt verließen, um sich eine Existenz wie eigene Unternehmen aufzubauen. Nach dem Willen der Stadt sollen diese Menschen unbedingt zurückkommen und die Stadt „bereichern“. Durch den Rückzug von Firmeninhabern oder Menschen, die sich ein hohes Kapital erwirtschaftet haben, profitieren aber nicht wir, die einfachen Leute, weder ArbeiterInnen noch Arbeitssuchende. Die Menschen die profitieren, sind die Vermieter und Verkäufer, die Wohnungen luxussanieren und neue Häuser aus dem Boden stampfen. Denn eins ist bewusst, die, die das Kapital besitzen, werden nicht mit uns in die „Platte“ ziehen, sie wollen sich abgrenzen, um in ihrer eigenen Welt zu leben.
Es kann nicht so weiter gehen, es muss sich was ändern, ansonsten werden wir immer weiter von steigenden Mieten und der dazugehörigen Verdrängung betroffen sein. Jeder einzelne von uns kann seinen Wohnraum jederzeit verlieren, entweder durch unbezahlbare Mietsteigerung oder durch Kündigung wegen Luxusumbauten.
Eins sollte uns bewusst sein: Allein! werden wir immer von den Regierenden zerschlagen, weil eine Rebellion gegen unsere Verdrängung und Unterdrückung eine Rebellion gegen die herrschende Schicht ist.
Zusammen können wir uns besser wehren. Wenn wir anfangen uns in unseren Eingängen, im Wohnhaus, auf der Straße, im Viertel und letztendlich in der gesamten Stadt zu organisieren, dann können wir selbstbestimmt leben und selbstverwaltet Entscheidungen treffen. Ein längerer Prozess, welcher aber durch eine Organisierung gemeinsam erreichbar ist. Ein Ort des Organisierens bietet zurzeit der Infoladen „Black-Mask“.
Wenn wir es schaffen uns mehr Objekte anzueignen, haben wir mehr Raum und Möglichkeiten, uns zu organisieren und können uns somit frei entfalten, so können unter anderem Projekte für Kinder und Jugendliche entstehen, aber auch für Erwachsene und Rentner die selbstverwaltet und umsonst sind. So können Menschen nicht ausgegrenzt werden und wir stärken unser soziales Miteinander. Wenn wir uns zusammen in unseren Häusern und Blöcken wehren, Mieten verweigern und uns die Wohnobjekte letztendlich aneignen, kann jeder seinen Wohnraum frei gestalten. Zusammen können dann die Wohnungen instandgesetzt werden, zusammen kann die Freizeit verbracht werden, was bedeutet, dass wir nicht mehr für uns allein zurückgezogen leben müssen, sondern wir wieder ein freies und soziales Miteinander schaffen können.
Solidarität!!! ist was uns zusammen hält, die das Kapital in den Schatten stellt.